Dienstag, 25. Oktober 2016

Perspektivenwechsel

Wir wurden kürzlich von einer älteren Dame kontaktiert, die sich auf ihren Spaziergängen im Meilwald regelmäßig von Mountainbikern bedroht fühlt. Wir haben sie vor Ort getroffen: Konkret ging es ihr um einen kurzen Hohlweg in der Nähe von Rathsberg, dessen Hänge als Spielwiese mit mehreren Abfahrten genutzt werden. Sie hatte ehrliche Angst, von einem plötzlich auftauchenden Mountainbiker umgefahren zu werden. Ihr Anliegen betrifft jedoch letztlich jeglichen von Fußgängern und Radfahrern gemeinsam benutzten Weg.
Während unseres Gesprächs fuhren zwei Biker in einigem Abstand ziemlich flott an uns vorbei. Kein Problem für mich, der gerne selbst schnell fährt. Für die Dame jedoch bereits ein Beispiel ihrer Angst. Sie schilderte weitere, möglicherweise brenzligere Situationen.

Ich versuche, mich in ihre Situation zu versetzen: Ich bin über 80 Jahre alt, sehr rüstig und wandere gerne. Als alter Mensch nehme ich die Umgebung anders wahr als mit meinen aktuellen 34 Jahren: Wahrscheinlich sehe ich noch etwas schlechter. Mag sein, dass mein Gesichtsfeld eingeschränkt ist. Ich höre schlechter, reagiere langsamer. Eine meiner Hauptsorgen ist, zu stürzen und so u.U. meine Selbständigkeit zu verlieren. Als alter Mensch weiß ich, welches Privileg es ist, sich selbst versorgen zu können. Mit gebrochenem Oberschenkel ist es damit schnell vorbei. Ich bin deshalb vorsichtig.
Ich spaziere durch den Wald. Ein Radler taucht plötzlich neben mir auf. Ich habe ihn nicht kommen hören. Plötzlich ist er da und schon wieder weg. Ich erschrecke. Ich rufe ihm nach: „Haben Sie keine Klingel?“ Er antwortet: „Das hat ein Mountainbiker nicht.“ Ich ärgere mich.

Mir führt unsere Begegnung vor Augen, was die vielbeschworene Rücksichtnahme bedeutet: Ich kann als 34-jähriger nicht davon ausgehen, dass andere Gleiches wahrnehmen. Andere bemerken mich deutlich später als ich sie, Distanzen und Situationen werden unterschiedlich eingeschätzt. Ich kann als Mountainbiker nicht davon ausgehen, dass andere die gleiche Freude empfinden, mit hoher Geschwindigkeit über schmale, schwierige Wege zu fahren. Muss das jeder verstehen? Welche Konsequenzen hat es für mich, wenn ich abbremse, wenn ich einen Fußgänger sehe? Der Flow ist weg, aber steht der über dem Frieden eines Spaziergängers? Ein freundlicher Gruß - schau her, ich tu dir nichts - macht Radler wie Fußgänger froh.

Der Meilwald ist eines der wenigen verbleibenden Waldstücke in unmittelbarer Nähe von Erlangen, in denen legal mit dem Mountainbike gefahren werden darf. Gleichzeitig ist es auch das wichtigste Naherholungsgebiet für alle möglichen anderen Naturnutzer. Entsprechend oft werden wir als Mountainbiker mit ihnen in Kontakt kommen. Versetzen wir uns in unser Gegenüber. Ein Kontakt darf kein Konflikt werden!